Russische Spionage in Deutschland: "Wie im Kalten Krieg"
Die Liste an russischen Spionageoperationen in Deutschland ist lang: Taurus-Leak, Verratsfall Carsten L., Jan Marsalek. Putins Spione scheinen leichtes Spiel zu haben. Wie groß ist die Gefahr und was kann Deutschland tun? Ein Expertengespräch
Von
Dominic Possoch
Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am 14.03.2024 um 16:00 Uhr.
Der Abhörskandal bei der Bundeswehr reiht sich ein in eine Serie an russischen Spionageerfolgen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mahnt zur "Besonnenheit" und bezeichnet die Abhöraffäre als Teil eines "Informationskrieges" Russlands. Doch Deutschlands Verbündete fragen sich: Ist Deutschland ein Sicherheitsrisiko? Erich Schmidt-Eenboom forscht seit 40 Jahren zu Geheimdiensten. Er sieht in Deutschland ein prioritäres Ziel Putins und fordert dringende Reformen. Für das neue "Possoch klärt" (Video oben, Link unten) hat BR24 mit ihm gesprochen.
BR24: Ist Deutschland inzwischen ein Sicherheitsrisiko?
Erich Schmidt-Eenboom: Also man muss zunächst ins Auge fassen, dass die Bundesrepublik Deutschland ein absolutes Schwerpunkt-Ziel der drei russischen Nachrichtendienste ist. Das gilt sowohl für den Militärnachrichtendienst GRU, für den Auslandsnachrichtendienst SWR und für den FSB. Wir erleben seit Jahren ein Anwachsen der russischen Spionage, insbesondere nach der Annexion der Krim einen ständigen Zuwachs.
BR24: Warum ist das so?
Schmidt-Eenboom: Die Bundesrepublik Deutschland spielt eine zentrale Rolle in der Europäischen Union. Und darum ist es für die Russen absolut wichtig, diese Entscheidungsprozesse auf der politischen Ebene aufzuklären. Nach dem Beginn des Ukraine-Krieges tritt natürlich hinzu, dass auch die Kapazitäten der Bundeswehr von großem Interesse sind.
Dazu kommen natürlich die Eingriffe in den Bundesnachrichtendienst, also dieser Fall Carsten L., wo die russischen Nachrichtendienste die Königsdisziplin der Spionage übertroffen haben, indem sie eine hochrangige Innenquelle im Bundesnachrichtendienst platzieren konnten, aber auch auf der Wirtschaftsspionage-Ebene sind die Russen weiter aktiv, insbesondere wo es darum geht, die deutsche Rüstungswirtschaft, Rheinmetall und andere, auszuspähen.
"Putin setzt massiv auf Spionage"
BR24: Das klingt wie eine Spionagetätigkeit zu Hochzeiten des Kalten Krieges…
Schmidt-Eeenboom: Die Spionageaktivitäten haben mindestens das Ausmaß wie im Kalten Krieg. Aber ich gehe mal davon aus, dass es noch intensiver geworden ist, weil in Zeiten der Entspannungspolitik in den 1980er-Jahren und unter Gorbatschow sind nachrichtendienstliche Aktivitäten heruntergefahren worden.
Das gilt auch noch vielleicht für die ersten 2000er-Jahre. Aber spätestens seit 2006 setzt Putin massiv auf Spionage, was nicht verwunderlich ist, weil er ja selber aus dem KGB kommt und lange Zeit Chef des Inlandsnachrichtendienstes FSB war.
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